Urlaub in der Pandemie – Das große Hoffen
Wann darf endlich wieder Urlaub gemacht werden? Die Tourismusbranche an der deutschen Küste setzt alle Hoffnung auf rechtzeitige Lockerungen zum Ostergeschäft.
Hannover, 04.03.2021 — Die Unsicherheit ist allgegenwärtig. Auch dort, wo man normalerweise dafür sorgt, dass alles in geordneten Bahnen abläuft. Doch so etwas wie Normalität existiert in der Tourismusbranche nicht mehr, seit vor knapp einem Jahr der erste Lockdown das öffentliche Leben lahmlegte. Felix von der Osten, CEO von „MeinSaisonjob“ vermittelt mit seinem Team zwischen Arbeitgebern und Saisonjobbern. Kellner an der Ostseeküste, Köche in Südtirol, Animateure auf den nordfriesischen Inseln. Auf der Homepage meinsaisonjob.de wirbt die „Full-Service-Plattform“ mit dem Satz: „Arbeite in den schönsten Urlaubsregionen in Deutschland, Österreich und der Schweiz!“ Auftraggeber schätzen die schnelle Vermittlung, die zumeist jungen Saisonarbeiter*innen die guten Kontakte und das breitgefächerte Netzwerk. Doch spätestens seit Beginn des zweiten Lockdowns befindet sich von der Osten im Stand-by-Modus: „Die komplette Wintersaison fand im Grunde nicht statt. Totale Flaute. Natürlich sind wir abhängig von der Öffnung von Restaurants, Hotels und anderen touristischen Betrieben. So lange da nichts passiert, herrscht die große Unsicherheit.“
Zumindest ist er damit nicht allein. Dirk Erdmann, Chef im Sylter „Hotel Rungholt“, musste auf das sonst so einträgliche Winter- und Weihnachtsgeschäft verzichten. „Immerhin“, so der Gastronom, „haben wir uns im Sommer etwas Speck anfuttern können.“ Der zweite Lockdown sei für sein Haus deshalb halbwegs „moderat“ abgelaufen. Die 70 Mitarbeiter*innen gehören weiterhin zum Team, Erdmann ist stolz darauf, keinen seine Angestellten gekündigt zu haben. „Die Frage ist nur“, so der Hotelchef, „wie lange können wir uns noch von diesem Speck ernähren?“
Peter Boy Weber handelt nicht mit Speck, dafür mit Kaffee und Mode. Auf Föhr führt er eine Café-Bar und in dritter Generation das Modehaus „Ehlers“, außerdem noch ein Geschäft in Sankt Peter-Ording. Als Reaktion auf die Schließungen von Hotels und Restaurants im Frühjahr 2020 gründete Weber den Unternehmerverband „Föhr-Amrumer-Unternehmer e.V.“ (F.A.U.), um sich innerhalb der Branche gegenseitig zu unterstützen. „Bei vielen Unternehmern“, sagt Weber, „ist die Luft raus. Es gibt keine Notfallpläne mehr.“ In normalen Zeiten verdiene die Branche zwischen Weihnachten und Mitte Januar genügend Geld, um die Zeit bis Ostern zu überbrücken, „doch in diesem Winter hat das Geschäft schlichtweg nicht stattgefunden“. Für Weber geht es dabei nicht nur um Hotelbetreiber wie Dirk Erdmann, oder die zu vermittelnden Arbeitskräfte von „MeinSaisonjob“: „Der Rattenschwanz ist lang. Zum Beispiel: Können die Pachten nicht mehr bezahlt werden, bekommen auch die Verpächter kein Geld, und haben die Verpächter keine Einnahmen, fehlt das Geld an anderer Stelle.“ Stellvertretend für die gesamte Branche bringt es Weber auf den Punkt: „Das Ostergeschäft muss laufen. Sonst geht bei der Hälfte der beteiligten Unternehmen im Sommer das Licht aus.“
Ähnlich sieht das auch seine Angestellte Franziska Horn. Die 27-Jährige hat Wirtschaft mit Schwerpunkt Tourismus studiert, landete zunächst in der E-Commerce-Branche und entschied sich dann im September 2020 für den riskanten Wechsel zurück in den Tourismus. MeinSaisonjob vermittelte sie an Peter Boy Weber – gerade noch rechtzeitig vor dem zweiten Lockdown: „Eine Woche durfte ich arbeiten, dann war wieder alles dicht.“ Horn ist trotzdem davon überzeugt, noch Glück im Unglück gehabt zu haben – zumal ihr eigentlich bis Ende März 2021 laufender Vertrag bis zum Ende der Sommersaison verlängert wurde. Sie sagt: „Eigentlich befinden wir Saisonjobber uns in einem ständige Wartezustand. Das ist frustrierend und sorgt mit Blick auf die Finanzen für große Unsicherheit.“ Auch sie setzt darauf, dass ab Ostern wieder deutliche Lockerungen möglich sein werden. „Eigentlich ist es ja fast erstaunlich, wie ruhig die Leute bleiben. Der wirtschaftliche Schaden ist schon jetzt enorm.“
Das Fest der Auferstehung ist die große Hoffnung zwischen Sylt und Südtirol. Doch wenn sich überhaupt Erkenntnisse aus der Pandemie gewinnen lassen, dann diese: Keiner kann sagen, was morgen kommt. In einer Branche, die sich auch auf langfristige Planungen verlassen muss, eine zusätzliche Herausforderung. Felix von der Osten von „MeinSaisonjob“ sagt: „Leider zieht es sich wie Kaugummi, da die Politik eher von Woche zu Woche plant, als grundsätzlich. Ich denke, dass es weder an Urlaubswilligen scheitert, noch an den Betrieben, denn die Hygienekonzepte sind da, noch an passenden Mitarbeiter*innen. Unser Bewerbungseingang ist jedenfalls voll und wir sind gut vorbereitet.“ Sein Team stehe bereits seit Wochen in den Startlöchern. Die Nachfrage von Saisonjobbern und Arbeitgebern sei immens. Wie auch der Frust über die allgegenwärtige Unsicherheit: „Für einen Studenten, der seinen Semesterbeitrag mit Saisonjobs im Urlaubsgebiet finanziert, ist das natürlich eine extrem schwierige Situation.“ Erstaunlich hoch sei auch die Anzahl von Anfragen hochqualifizierter Arbeitskräfte: „Daran sieht man erstmal, wie wenig zu tun ist.“
Hotelier Dirk Erdmann hat sich und seine Leute mit Renovierungsmaßnahmen beschäftigt, in Sachen Hygienekonzepte sei man inzwischen eh ausreichend geschult: „Im Grunde genommen sind wir bereit.“ Erdmann ist nicht untätig geblieben und hat sich Gedanken gemacht, wie der Betrieb selbst unter strengen Auflagen ablaufen könnte. Dabei stößt er jedoch auf Widerstand in der Politik. Um seine Angestellten wöchentlich testen zu lassen, bräuchte er eine Zulassung der zuständigen Behörden, doch die steht noch aus. Schon im vergangenen Sommer hat er die verschiedenen Bereiche in seinem Hotel mit entsprechenden Maßnahmen voneinander abgetrennt und erhielt dafür viel Lob von den Urlaubern. „Noch 2019 hätte ich mich darüber gewundert, wenn ein Gast uns zum Abschied gesagt hätte, wie sicher er sich bei uns gefühlt habe. Inzwischen ist das ein wichtiges Kompliment.“
Strenge Hygienemaßnahmen und unkomplizierte Nachverfolgung – auch für Unternehmer Peter Boy Weber sind das die entscheidenden Punkte, um nach möglichen Lockerungen sicheren und damit funktionierenden Tourismus möglich zu machen. Wie Dirk Erdmann setzt er dabei auf „Luca“, eine von Musiker Smudo entwickelte Corona-App, die laut Weber „das macht, was eigentlich die Corona-Warn-App der Bundesregierung machen sollte“. Die Idee von „Luca“: Per QR-Code können sich Besucher*innen von Gaststätten, Hotels oder Fitnessstudios registrieren, wer kein Smartphone hat erhält einen analogen Schlüssel. Die zeitraubende Zettelwirtschaft wäre damit Geschichte, die Nachverfolgung einfacher und sicherer, so die Erfinder von „Luca“.
Saisonjobberin Franziska Horn ist sich sicher, „dass sich die Branche wieder erholen wird. Die Frage ist nur, wie viele der kleineren Betriebe diesen langen Lockdown überstehen werden.“ Wovon wiederum viele Saisonjobs betroffen sein könnten.
Bis die Situation mögliche Lockerungen mit Blick auf den Reiseverkehr zu Ostern zulässt, bleibt Franziska Horn, Dirk Erdmann, Peter Boy Weber und Felix von der Osten nur das Warten – und die Hoffnung auf Maßnahmen, die die trüben Wintermonate bald vergessen machen. Gleichzeitig ist den Beteiligten klar, dass sich auf Dauer nur langfristige Projekte dafür eignen, um auf die neuen Umstände reagieren zu können. Hotelchef Erdmann glaubt, „dass wir noch viele Jahre mit den Folgen der Pandemie leben müssen – auch mit Blick auf die Mutationen. Das geht nur, wenn man die hygienische Vorsorgemaßnahmen weiter verbessert und den Umgang damit professionalisiert.“ Peter Boy Weber, Sprecher des Unternehmerverbands F.A.U. sagt: „Das wird sicherlich nicht die letzte Pandemie bleiben. Und dann sind da noch die Folgen des Klimawandels, die wir heute gar nicht genau absehen können.“ Er glaubt nicht daran, dass der Massentourismus der jüngeren Vergangenheit noch eine Zukunft hat: „Die Qualität muss bleiben und sich sogar verbessern. Von der Quantität müssen wir uns verabschieden.“ Bedeutet: „Das immer alles für wenig Geld verfügbar ist, ist nicht mehr zeitgemäß.“ Er wünscht sich einen Tourismus, der durch verbesserte Digitalisierung die Besucherströme klüger und damit sicherer leiten kann. Überfüllte Strände auf Sylt oder Föhr würden dann der Vergangenheit angehören.
Digitale Angebote, Flexibilität, kontrollierter Tourismus – die Macher von „MeinSaisonjob“, auch sie Verlierer der gegenwärtigen Krise, könnten mit ihrem Geschäftsmodell am Ende als Sieger dastehen. Doch erstmal hoffen alle - potentielle Urlauber wie Gastgeber, Vermittler oder Gastronomen – dass die Zahlen weiter sinken und das öffentliche Leben wieder zurückkehrt. Peter Boy Weber übt sich in Optimismus: „Ich bin mir trotz allem sicher, dass das eine tolle Urlaubsaison wird.“